Die fremde Welt


"Es muss so schön sein, ein Baby zu sein!"

Darüber scheinen sich zumindest sehr viele Leute einig zu sein, denn diesen Satz höre ich wirklich sehr oft. Als Baby kann man schlafen, wann und wie viel man will. Wird herumgetragen. Hat keine Sorgen...? Doch bevor ich allzuviel dazu schreibe möchte ich an dieser Stelle eine kurze Gedankenreise mit euch/dir machen:

Stell dir vor du wirst plötzlich und sehr unsanft aus deinem Umfeld gerissen. Weg von deinem gewohnten Alltag, deiner vertrauten Heimat. Du findest dich in einem völlig fremden Land wieder. Dir ist kalt, aber trotzdem scheint die Sonne wahnsinnig grell und intensiv. Sie blendet dich, so sehr dass dir die Augen schmerzen. Es ist laut und wuselig um dich herum. Überall hörst du fremde Geräusche und Stimmen. Menschen um dich herum reden mit dir, aber du verstehst trotzdem kein Wort vom dem, was sie sagen oder von dir wollen. Und wenn du den Mund aufmachst, um etwas zu sagen, kommt auch nichts Anständiges dabei heraus. Aber nicht nur die Sprache ist dir fremd, sondern auch ihre ganze Kultur. Du wirst jeden Tag mit Dingen konfrontiert, die du noch nie gesehen hast. Und jeden Tag versuchst du das alles in dich aufzunehmen, zu verstehen und damit umzugehen. Es ist ganz anders als alles, was du bisher kanntest. Fast als wärst du in einer anderen Welt!

Du gewöhnst dich ganz langsam an all die neuen Eindrücke. Trotzdem kannst du abends meist nicht einschlafen. Du findest einfach nicht zur Ruhe, denn die Eindrücke die du gesammelt hast gehen dir nicht aus dem Kopf und die Bilder lassen dich nicht los. Du lernst jeden Tag so unglaublich viel und das ist toll, aber am liebsten wärst du gerne wieder zu Hause in deiner gewohnten Umgebung. In deiner Heimat. Du vermisst es sehr und denkst oft daran zurück. Aber du kannst nicht zurück und musst deshalb bitterlich weinen.

Zum Glück gibt es wenigstens eine Sache, die dir vertraut ist. Ein guter Freund wohnt in dem Land. Du hast bisher aber immer nur mit ihm telefoniert und bist deshalb sehr aufgeregt, ihn zu treffen. Er gibt dir Sicherheit, weil er das einzige in dieser Welt ist, was dir bekannt vorkommt. Du möchtest gerne so viel Zeit mit ihm verbringen wie möglich, ihn dicht bei dir haben und ihn besser kennen lernen. Du verlässt dich auf ihn und vertraust ihm, dass er dir hilft in dieser fremden Welt klarzukommen, dass er dich begleitet und dich nicht alleine lässt.

Ein Baby wird geboren. 

Für uns etwas völlig normales. Jeden Tag kommen irgendwo Kinder in diese Welt. Klar, bekommt man sein erstes Kind wird die Welt natürlich erst mal auf den Kopf gestellt. Aber das ist lange nichts im Vergleich dazu, was ein Säugling die ersten Tage, Wochen, gar Monate nach seiner Geburt durchmachen muss.

Das was ihm bisher vertraut war sind der Herzschlag, Körpergeräusche und die Stimme seiner Mutter. Wärme, Geborgenheit, Leichtigkeit, Enge, ständiges Geschaukeltwerden und dadurch die Stimulation des ganzen Körpers, Dunkelheit und eine automatische Versorgung seines Körpers. Mit der Geburt ändert sich also seine ganze kleine Welt und er tritt ein in eine völlig neue, fremde ein.

Auch unsere Tochter hatte mit den vielen Veränderungen die ersten Lebenswochen spürbar zu kämpfen. Das hat sie teilweise immernoch. Sie kam schwer zur Ruhe, schlief sehr wenig, weinte sehr viel, hatte oft Bauchschmerzen, war schnell überreizt.


Jetzt könnte man natürlich sagen: "Das ist eben so!" oder "Das Kind muss jetzt eben lernen damit umzugehen." Natürlich. Das muss es zwangsläufig und das wird es auch. Es hat ja keine andere Wahl. Kann nicht wieder zurück dahin, wo es hergekommen ist. Das Entscheidende ist doch, wie es lernt mit all diesen Veränderungen umzugehen. Wird ihm die Zeit gelassen die es braucht, um zu lernen, zu wachsen, selbstständig zu werden, indem man ihm die nötigen Hilfsmittel und die nötige Unterstützung an die Hand gibt, die ihm Sicherheit und Vertrauen schenken? Oder überlässt man es sich selber?

Was würdet ihr an Stelle des Kindes bevorzugen?


Natürlich könnte man jetzt wieder einwenden "Wenn das Kind (zum Beispiel) immer in den Schlaf geschaukelt/gestillt/begleitet wird, lernt es nie, alleine in den Schlaf zu finden." Könnte man meinen. Stimmt aber absolut nicht!

Kinder sind von Natur aus neugierige, wissbegierige und forwärtsstrebende Wesen. Sie wollen ganz instinktiv Fortschritt machen, lernen, selbstständig werden. Sie beobachten ganz genau und ahmen dann nach was sie sehen. Sie probieren sich aus. Das merkt man besonders gut an Kleinkindern, die alles alleine machen wollen oder jegliches Verhalten ihrer Eltern kopieren. Zuerst klammern sie sich oft an ihre Bezugspersonen und nutzen sie als sicheren Hafen, von dem aus sie dann die Welt erkunden können.

Trotzdem verläuft alles was sie tun nach bestimmten Entwicklungsmustern, die sich natürlich von Kind zu Kind etwas unterscheiden. Beispiel: Nur weil ein vier Monate altes Baby gerne mit seiner Bezugsperson kommunizieren würde, kann es noch lange nicht sprechen. Es ist dazu entwicklungstechnisch noch nicht in der Lage. Und auch wenn seine Eltern es noch so viel dazu annimieren oder vormachen. Vielleicht kommuniziert es durch Laute oder Quicken, aber sprechen wird es trotzdem nicht mit vier Monaten können.

Versuchen wir als Bezugspersonen, Kinder schon in etwas hineinzudrücken, wovon wir meinen, dass es jetzt gelernt werden muss, obwohl noch gar nicht die notwendige Reife dafür da ist, führt das nur zu Frustration - und zwar auf beiden Seiten. Lassen wir ihnen aber die Zeit, die sie benötigen, um in ihrem Tempo neue Dinge zu lernen, können sie sich ohne Druck entfalten und wachsen.

Natürlich dauert das manchmal länger, als wir uns das wünschen würden oder ist anstrengender, als wir uns das vorgestellt haben. Aber es ist essenziell für die Entwicklung eines Kindes. Und es gehört zum Elternsein nunmal einfach dazu, finde ich.

Sorgen wir doch dafür mit all unseren Kräften, unseren Kindern diese fremde Welt Stück für Stück vertrauter zu machen, indem wir sie lieben, begleiten, ihnen helfen, wo sie unsere Hilfe noch benötigen und unsere Erwartungen nicht zu hoch setzen.

Fazit: Es hat selbstverständlich auch schöne Seiten, ein Baby zu sein. Dafür aber mindestens genauso viel unschöne. Und ich sage immer: "Es kommt darauf an bei wem man Baby ist!"



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